Mit „Anatomy of a Fall“ gewinnt in Cannes erst zum dritten Mal das Werk einer Frau. Hauptdarstellerin Sandra Hüller ist nun wohl ein Weltstar.
Auch wenn der Hauptpreis für eins der stärksten Gerichtsdramen seit Billy Wilders „Zeugin der Anklage“ zuletzt immer wahrscheinlicher geworden war, war die Preisverleihung nicht weniger Ausdruck eines Spektakels. Zur Feier des größten Frauenanteils von immerhin einem Drittel in der Regie im Wettbewerb hatte man Jane Fonda eingeladen.
Der Biss in die fütternde Hand blieb indes nicht unbeantwortet. Frankreichs Kulturministerin Rima Abdul Malak zeigte sich „verblüfft“, ohne das französische Modell der Filmförderung hätte Triets Film nie das Tageslicht gesehen. Auch mit Präsident Macron war die Regisseurin ins Gericht gegangen. Seine Unterdrückung der Proteste gegen die Rentenreform hatte sie als schockierend bezeichnet.
Auch die Türkin Merve Dizdar, als Hauptdarstellerin in Nuri Bilge Ceylans Drama „About Dry Grasses“ ausgezeichnet, nutzte ihre Dankesrede vor der Präsidentschaftswahl in ihrem Land zu einem Statement, in dem sie ihren Preis allen Frauen widmete, die „dafür kämpfen, die Schwierigkeiten in der Welt zu überwinden, und die Hoffnung nicht aufgeben“.
Eine Perle einer weiblichen Filmemacherin hatte sich das Festival bis zum letzten Wochenende aufgehoben, leider blieb Alice Rohrwachers betörende Gaunerkomödie „La Chimera“ bei der Preisvergabe unberücksichtigt. In den pastellenen Farben von analogem Kodak-Film erzählt sie von einem nicht ganz gesellschaftsfähigen jungen Mann, der sich als Grabräuber betätigt. So erspürt er Bestattungsorte aus der Römerzeit.
„Das Kino stirbt? Das heißt doch, dass es menschlich ist.“ Unter allen internationalen Filmemacherinnen und Filmemachern, die sich in dem Dokumentarfilm „Chambre 999“ von Lubna Playoust über die Zukunft des Mediums äußern, wirkt Alice Rohrwacher am leidenschaftlichsten. Die digitale Kultur strebe nach kontrollierten Bildern, wahre Filmkunst sei stets das Gegenteil, sei Poesie.
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